Śrīḥ
Śrīmathē śatakōpāya namaḥ
Śrīmathē rāmānujāya namaḥ
Śrīmath varavaramunayē namaḥ
Śrī vānāchala mahāmunayē namaḥ
Einführung
Der Verfasser des Kaṇṇinuṇ Śiruth Tāmbu, Madhurakavi Āḻvār, ist wohl der paradoxeste unter den Āḻvārs. Einerseits zählt er in manchen Aufstellungen nicht einmal zu den Āḻvārs, andererseits ist er und das Kaṇṇinuṇ Śiruth Tāmbu der Grund, warum die Verse der anderen Āḻvārs überhaupt noch bekannt sind. Er stammte aus einer sehr hochstehenden Brahmanenfamilie aus Nordindien und wurde in Südindien der Schüler von Nammāḻvār, welcher deutlich jünger als Madhurakavi Āḻvār war und aus einer Śudra Familie stammte, also aus einer viel geringeren Kaste. Seine Hingabe an Nammāḻvār kannte keine Grenzen… davon handelt das Kaṇṇinuṇ Śiruth Tāmbu.
Kaṇṇinuṇ Śiruth Tāmbu ist das einzige Lied der Āḻvārs, das nicht von Nāthamuni wiedergewonnen werden musste. Die Legende weiß zu berichten, dass Nāthamuni, der erste in der Linie unserer frühen Āchāryas (ca 900 unserer Zeitrechnung) im Tempel von Kattumannarkoil war, das ist etwa auf halbem Weg zwischen Chennai und der Südspitze des indischen Subkontinents an der Ostküste Indiens.
Dort höre er eine Gruppe von Śrī Vaiṣṇavas einige wundervolle Verse rezitieren. Auf die Nachfrage, was dies für Verse wären und ob er das ganze Werk hören könne, wurde Nāthamuni gesagt, dass sie nur 11 Verse kennen würden und dass er vielleicht in Kurugūr mehr erfahren könne. So wanderte Nāthamuni 400 km nach Kurugūr, wo er Parāngusa Dāsa, einen Schüler in der Linie von Madhurakavi Āḻvār, traf. Dieser lehrte ihn das Kaṇṇinuṇ Śiruth Tāmbu und erklärte ihm, dass er durch eine besondere Tapaysa ein Erscheinen von Nammāḻvār erreichen könne, der ihn dann die Verse lehren wird. Dafür müsse er vor dem Baum, in dem Nammāḻvār viele Jahre seines Lebens meditiert hat, 12.000 Mal ohne Unterbrechungen das Kaṇṇinuṇ Śiruth Tāmbu rezitieren. Unserer Rechnung nach bedeutet das, die Verse für 6 Wochen am Stück zu sprechen. Da Nāthamuni ein sehr fortgeschrittener Yogi war, war es ihm möglich, diese Tapaysa auszuführen. Und in der Tat erschien ihm Nammāḻvār und lehrte ihn die Werke der Āḻvārs, Yogische Techniken und vieles mehr. Aus diesem Grund geht die Linie unserer Lehrer von Nammāḷvār zu Nāthamuni.
Thanyians (Würdigungsverse)
Beide Thaniyans werden Nāthamuni, dem ersten Āchārya in der aktuelle Linie, unserer, zugeschrieben.
Thaniyan 1
avidita viṣayāntaraḥ śaṭhārēḥ
upaniṣadām upagānamātra bhōgaḥ |
api ca guṇavaśā ttadēkaśēṣī
madhurakavirhṛdayē mamāvirastu ||
Der, der nicht anderes kannte [als Nammāḻvār], Śatakopas [ein Sanskrit Name für Nammāḷvār – der, der Satam, die Unwissenheit, vertreibt] heilige Worte singend, seine einzige Freude.
Der durch seine Qualitäten Nammāḻvār als einzigen Herrn hatte,
möge Madhurakavi Āḻvār sich in meinem Herzen manifestieren.
Wir lernen hier die besondere Qualität von Madurakavi Āḻvār kennen, die ihn von (fast) allen anderen Āḻvārs unterscheidet: während der Geist der anderen Āḻvārs nur auf den Herrn und keinen der geringeren Devatas gerichtet ist, ist der Geist von Madurakavi Āḻvār nur auf Nammāḻvār und nicht den Herrn gerichtet.
Thaniyan 2
vēṟonṟum nān aṟiyēn vēdam tamiḻ śeyda⋆
māṟan śaḍagōban vaṇ kurugūr ēreṅgaḷ
vāḻvām enṟēttum⋆ madurakaviyār emmai āḻvār⋆ avarē araṇ
„Ich kenne nichts als den, der die Bedeutung der Veden auf Tamil beschreibt“ [Nammāḻvār],
Māran sein Name, zu Śatakopa gehörend, Anführer der schönen Stadt Kurugūr (heute Thirukkurugur – Teil des Pilgerortes Azhwarthirunagari), der der uns erheben wird, wir preisen Madurakavi Āḻvār, der uns beherrscht und schützt.
Vers 1
kaṇṇi nuṇ śiṟu ttāmbināl ⋆ kaṭṭuṇṇa
ppaṇṇiya perumāyan⋆ ennappanil⋆
naṇṇi tten kurugūr⋆ nambi enṟakkāl⋆
aṇṇikkum amudūṟum ⋆ ennāvukkē
Mit einem kurzen, rauen Strick geknotet,
er, [Kṛṣṇa] der Yasoda erlaubte ihn zu binden, mit wundervollen Fähigkeiten,
ich lasse den Herrn hinter mir und suche Schutz beim Herrn von Kurugūr
ich rezitiere seinen Namen, der süßer Nektar auf meiner Zunge ist.
Nammāḻvār war Kṛṣṇa (Kaṇṇan auf tamilisch – das erste Wort kaṇṇi (mit rauer Oberfläche) klingt wohl nicht zufällig sehr ähnlich) sehr hingegeben und versank regelmäßig in den Geschichten aus Kṛṣṇas Kindheit. Unsere Āchāryas haben kommentiert, dass Madurakavi Āḻvār dies erwähnt, weil diese Begebenheit seinem Āchārya Nammāḻvār sehr lieb war. Er kann dann aber nicht anders, als sogleich seine große Hingabe an Nammācvār zu betonen. Einige unserer Āchāryas sehen den letzten Teil des Verses als Antwort auf den Vorwurf anderer, warum der Āḻvār den Namen seines Āchāryas und nicht den Namen Gottes rezitiert. Der Grund ist, dass er Nammāḻvār so hingegeben ist wie kein anderer und so kann auch keiner die Süße seines Namens für Madurakavi Āḻvār nachvollziehen.
Vers 2
nāvināl naviṭru⋆ inbam eydinēn⋆
mēvinēn⋆ avan pon aḍi meymmaiyē⋆
tēvu maṭraṟiyēn⋆ kurugūr nambi⋆
pāvin in iśai ⋆ pāḍi ttirivanē
Meine Zunge ist voller Freude beim Rezitieren [seiner (Nammāḻvārs) Namen],
seinen goldenen Füßen, ich bin ihnen völlig hingegeben.
Ich kenne keinen anderen Gott [tēvu – analog Deva im Sanskrit]- als den Herrn von Kurugūr,
und so ziehe ich herum und singe seine Lieder zu süßer Musik.
Der Āchārya Nammpiḻḻai weist bei diesem Vers darauf hin, dass für Madurakavi Āḻvār die Füße von Nammāḷvār nicht ein Mittel zum Erreichen eines höheren Zwecks sind, sondern auch das letzte Ziel.
Periavāchān Piḻḻai weist darauf hin, dass Madurakavi Āḻvār dieselbe Wonne durch das Singen von Nammāḻvārs Namen erreicht wie Nammāḻvār, der sich mit Worten, Taten und Gedanken in den Herrn versenkt.
Vers 3
tiri tandāgilum⋆ tēva pirān uḍai⋆
kariya kōla⋆ tiru uru kkāṇban nān⋆
periya vaṇ kurugūr⋆ nagar nambikkāḷ uriyanāy ⋆
aḍiyēn ⋆ peṭra nanmaiyē
Und selbst wenn ich abweichen würde [vom Dienst an Nammāḻvār],
den Herrn der Nityasūris [Śrīman Nārāyana], wie dunkele Wolken in wundervoller göttlicher Form,
Ich werde Dienst an Nammāḻvār sehen, aus Kurugūr, der großen und ehrwürdigen Stadt.
Sein Diener allein bin ich, sehr den Segen, den ich empfangen habe.
Der Anfang des Verses mag überraschen. Warum sollte der Dienst am Herrn der Nityasūris ein Fall sein – er ist doch das Ziel (fast) aller Āḻvārs und der Śri Vaiṣnavas? Aber, so erläutern unsere Āchāryas, die Hingabe an erhabene Anhänger des Herrn / seine Āchārya steht noch über diesem Dienst, sodass für Madhurakavi Āḻvār ein Abfallen von diesem Dienst bedeuten würde, auf die Ebene von Śrīman Nārāyana zu kommen.
Vers 4
nanmaiyāl mikka⋆ nānmaṟai āḻargaḷ⋆
punmai āga⋆ karuduvar ādalin⋆
annaiyāy attanāy⋆ ennai āṇḍiḍum tanmaiyān ⋆
śaḍagōban ⋆ en nambiyē
Voll von Tugend, die Gelehrten in den vier Veden,
Sie ignorieren mich als Inbegriff niederer Eigenschaften.
Meine Mutter, mein Vater, der, der mich als Diener annimmt,
Śatakopa ist mein Meister.
Zum Anfang (nanmaiyāl mikka⋆ nānmaṟai āḻarga – Voll von Tugend, die Gelehrten in den vier Veden) merken unsere Āchāryas an, dass die mitfühlendste Eigenschaft durch die Veden erworben wird. Es heißt „Mātā pitā sahasrebhyo vatsalatharam śāstram“ (Śāstra trägt tausendmal mehr Fürsorge in sich, als die Eltern manifestieren werden). Jemand, der Śāstra nicht studiert hat, wird wahres Mitgefühl (basierend auf dem Āthmā) nicht verstehen.
Madhurakavi Āḻvār ist sehr besorgt darüber, dass solch großartige Menschen ihn aufgeben.
Vers 5
nambinēn⋆ piṟar nan poruḷ tannaiyum⋆
nambinēn⋆ maḍa vāraiyum mun elām⋆
śem pon māḍa ⋆ tiru kkurugūr nambi kkanbanāy ⋆
aḍiyēn ⋆ śadirttēn inṟē
Ich sehnte mich nach den schönen Dingen anderer,
Ich sehnte mich nach den Frauen anderer, früher,
Mit goldenen Balkons geschmückt, Kurugūr, Dein Herrscher,
Ich wurde sogleich sein Schüler.
Bei diesem Vers ist die Erwähnung der goldenen Balkons wohl verwundern. Unsere Āchāryas erklären dies so, dass der Āḻvār vor seiner Läuterung zunächst durch die öffentlich sichtbaren Zeichen des Reichtums von Kurugūr angezogen war, bevor er der Schüler von Nammāḻvār wurde.
Vers 6
inṟu toṭṭum⋆ eḻumaiyum embirān⋆
ninṟu tan pugaḻ⋆ ētta aruḷinān⋆
kunṟa māḍa⋆ tiru kkurugūr nambi⋆
enṟum ennai ⋆ igaḻ vilan kāṇminē
Für heute und die Zeit, die kommt,
Voller Überzeugung preise ich meinen gesegneten Meister,
Mit Balkonen bis zum Himmel, Kurugūr, Dein Herrscher,
Für alle Zeit, er wird mich nicht aufgeben, schaut her!
Vers 7
kaṇḍu koṇḍennai⋆ kāri māṟappirān⋆
paṇḍai valvinai⋆ pāṭri aruḷinān⋆
eṇḍiśaiyum⋆ aṟiya iyambugēn⋆
oṇ tamiḻ ⋆ śaḍagōban aruḷaiyē
Gesegnet lässt er mich dienen, der Sohn von Kāri [Nammāḻvār];
Vergehen / Karma aus anfangsloser Zeit, die mir folgen, er hat sie gnädig entfernt;
Jeder aus den 8 Himmelsrichtungen, ich werde es ihnen berichten.
Er, der Quell [wundervoller] tamilischer Gebete, Śatakopa [Nammāḻvār], seine Gnade.
In diesem Vers ist der explizite Hinweis auf die tamilische Sprache sicherlich bemerkenswert. Zum besseren Verständnis muss man sich klarmachen, dass Tamilisch und Sanskrit zu verschiedenen Sprachfamilien gehören. Wenn man die aus dem Sanskrit übernommenen Worte im (heutigen) Tamilisch mal außen vor lässt, hat Sanskrit in mancherlei Hinsicht mehr Gemeinsamkeiten mit Latein oder Griechisch als mit Tamilisch. Für die einfache Bevölkerung in Südindien waren die vedischen Verse daher früher, ohne die vielen Leihworte aus dem Sanskrit, die man heute findet, nicht zu verstehen. Nammāḻvārs Verse sind als Drāviḍa Veda bekannt, denn wo die Veden für die Menschen mit dravidischen Sprachen (Tamil, Telugu usw) unverständlich waren bzw sind, sind Nammāḻvārs Verse leicht verständlich.
Zum Thema Karma empfehlen wir unseren Artikel Sterben und Karma verstehen.
Vers 8
aruḷ koṇḍāḍum⋆ aḍiyavar inbuṟa⋆
aruḷinān⋆ avvarumaṟaiyin poruḷ⋆
aruḷ koṇḍu⋆ āyiram in tamiḻ pāḍinān⋆
aruḷ kaṇḍīr ⋆ ivvulaginil mikkadē
Die Gnade des Herrn, seinen Geweihten zur Freude,
Er segnet uns mit der Essenz der Veden,
Die große Gnade der tausend Verse auf Tamil (Nammāḻvārs Thiruvāimoḻi),
Sie ist seine reine Gnade und steht als Großes in dieser Welt.
Anschließend an Vers 7 stellen unsere Āchāryas hier noch einmal klar, dass Nammāḻvār zwar aufgrund seiner Kaste (er war aus einer Śudra Familie) die Veden weder lernen noch rezitieren durfte, es aber keinerlei Grenzen darin gibt, ihre Essenz zu lernen und zu verstehen – die ermöglicht Nammāḻvār durch sein Thiruvāimoḻi.
Der Anfang (Die Gnade des Herrn) verweist gemäß unserer Āchāryas darauf, dass Nammāḻvār sich selbst nur als Werkzeug, als Kanal für den Herrn verstanden hat. In Thiruvāimoḻi 7.9.4. singt Nammāḻvār
ennāgiyē thapputhalinṟith thanaik kavi thān solli
Durch mich sang Bhagavān die Herrlichkeiten seiner selbst ohne jeden Fehler.
Nicht nur andere, Nammāḻvār selbst wurde nach der Zusammenstellung seiner Verse glückselig.
Vers 9
mikka vēdiyar⋆ vēdattin uṭporuḷ⋆
niṟka pāḍi⋆ en neñjuḷ niṟuttinān⋆
takka śīr ⋆ śaḍagōban en nambikku ⋆
āṭ pukka kādal ⋆ aḍimai ppayananṟē
Die Veden singen die großen Gelehrten, die Essenz der Veden,
Offenbart in den Versen [des Thiruvāimoḻi| und fest in mein Herz gepflanzt.
Śatakopa mit erhabenen Eigenschaften, ihm zu dienen,
Meine Liebe dazu erwachte und im selbe Moment erreichte ich das Ziel [den Dienst an Nammāḻvār].
Unsere Āchāryas weisen darauf hin, dass dieser Vers auf einen sehr wichtigen Umstand verweist: Die eigene Vollkommenheit zeigt sich darin, dass man die Begrenzungen und Defekte anderer beseitigt und sie vollkommen macht. Vor seinem Dienst fand Madhurakavi Āḻvār bei sich diverse Defekte, die durch seine Zuneigung zu und den Dienst an Nammāḻvār verschwanden.
Des weiteren finden sich einige interessante Anmerkungen zum den ersten Worten, mikka vēdiyar: – Vēdiyar ist jemand, der die Literatur außerhalb der Veden ignoriert und die Vorgaben der Veden streng verfolgt. Mikka Vēdiyar ist jemand, der nicht durch unbedeutende Ziele verwirrt ist und versteht, dass der Dienst am Herrn das höchste Ziel ist- der also neben einen strikten Lebenswandel auch den tiefsten Sinn der Schriften versteht.
Vers 10
payan anṟāgilum ⋆ pāṅgallar āgilum ⋆
śeyal nanṟāga⋆ tirutti ppaṇi koḻvān⋆
kuyil ninṟār poḻil śūḻ⋆ kurugūr nambi⋆
muyalginṟēn ⋆ un tan moy kaḻaṟkanbaiyē
Obwohl eine Vorteil davon zu haben, ohne dass sie er verdient hätten,
Durch sein Zeugnis und kraftvollen Anweisungen reformierte er sie,
Umringt von Gärten voller Vögel, Kurugūr, Dein Herr,
Seine Füße, ihnen versuche ich zu huldigen.
Unsere Āchāryas ordnen den Verweis auf die Gärten voller Vögel so ein, dass Nammāḻvārs Anwesenheit in Kurugūr den Ort als ganzes sehr anziehend werden lässt.
Eine interessante Frage ist, warum er die reformierert, die es nicht verdient haben. Unsere Āchāryas vergleichen Nammāḻvār mit Sita, die sogar Ravana beraten hat. Sein Mitleid überwindet alle Begrenzungen.
Vers 11
anban tannai ⋆ aḍaindavargaṭkellām anban⋆
ten kurugūr⋆ nagar nambikku⋆
anbanāy⋆ madurakavi śonna śol
nambuvār padi ⋆ vaigundam kāṇminē
Der Herr ist seinen Anhängern zugetan, all denen die ihm ergeben, die ihn lieben,
Der Herr der Stadt Kurugūr,
Erst ist ihnen ergeben; Madurakavi sprach diese Verse,
Wer ihnen treu ist, wird Vaikuṇṭha erreichen.
Adiyen Mādhava Rāmānuja Dāsan
Übersetzung auf Deutsch
Adiyen Sarathy Rāmānuja Dāsan
Adiyen Sudarshana Rāmānuja Dāsan
Übersetzung ins Englische