Thiruppallāṇdu

Śrīḥ
Śrīmathē śatakōpāya namaḥ
Śrīmathē rāmānujāya namaḥ
Śrīmath varavaramunayē namaḥ
Śrī vānāchala mahāmunayē namaḥ

Einführung

Das Thiruppallāṇdu wurde vom Heiligen Periyāḻvār verfasst und nimmt unter den Texten der Āḻvārs einen hervorgehobenen Platz ein. Das besondere an diesem Werk ist, dass es ein „Mangalasasanam“ ist, ein Segen. Dieser Segen gilt – für Menschen aus unserer Kultur vermutlich überraschend – Śrīman Nārāyaṇa, Viṣṇu, also der erhabensten Form Gottes. Im Lichte der abendländischen Religionstradition mag das wiedersinnig erscheinen. Warum sollte ein Mensch Gott segnen? Wie kann er das überhaupt, angesichts der Größe Gottes und seiner eigenen Schwäche?

Doch solche Gedanken scheren Periyāḻvār nicht. Ein Aspekt der lebendigen Erfahrung des Göttlichen durch die Āḻvārs ist die Erfahrung einer unendlich zarten Schönheit, die vom höchsten Herren ausstrahlt. Periyāḻvār erblickt Gott, Viṣṇu, über eine Gruppe Menschen, die ihn (Periyāḻvār) nach dem Sieg in einer Debatte bejubeln. Und angesichts der unendlich zarten Schönheit Viṣṇus und den groben Menschen in seiner Nähe ist er besorgt. Sein Segen ist also kein Ausdruck eines intellektuellen oder theologischen Vorgangs, es ist ein Ausdruck der Erhabenheit von Periyāḻvār, der – im Gegensatz zu den anderen Āḻvārs – von Gott nichts erbittet, sondern für Gott bittet. Periya bedeutet denn auch auf tamilisch groß, Periyāḻvār bedeutet also „der große Āḻvār“.

Das Thiruppallāṇdu wird fast jedem „Goshti“, dem Zusammenkommen von Śrī Vaiṣṇavas zur Verehrung Gottes, rezitiert.

Śrī Vaiṣṇavas rezitieren gemeinsam Thiruppallāṇdu bei einem Utsavam (Tempelfest mit Prozession)

Wie viele Werke der Āḻvārs ist auch Dieses zuweilen nicht ohne weiteres zu verstehen, oft deuten die Āḻvārs nur Dinge mit wenigen Silben an oder kombinieren mehrere Wörter mit Sandhi, so dass die resultierende Buchstabenkombination auf mehrere Arten verstanden werden kann. Wir raten daher dringend davon ab, ohne die Unterstützung eines kenntnisreichen Muttersprachlers die tamilischen Originaltexte, die man auf koyil.org finden kann, zu analyieren. Oft gehen Übersetzungen aus Google Translate / dem Wörterbuch in die völlig falsche Richtung…


Übersetzung

Würdigungsvers I

Er, der ohne Unterweisung durch einen Guru antrat und aus allen Veden rezitierte.
Er, der (dadurch) den Wunsch erfüllte und den Sack Goldmünzen gewann, den der König (Vallabha) als Preis gesetzt hatte.
Er, der der Schwiegervater von Śrī Raṅganatha und die Zier des Brahmanenstandes ist.
Ihm, Viṣṇuchitta, gebührt meine Ehrerbietung.

Dieser Würdigungsvers (Thaniyan) spielt auf die beiden wichtigsten Begebenheiten im Leben von Periyāḻvār an. Wie alle Āḻvārs hat Periyāḻvār diverse Namen auf Tamil und Sanskrit. Sein wichtigster Name auf Sanskrit ist Viṣṇuchitta – der, dessen Geist von Gedanken an Viṣṇu erfüllt ist.

Periyāḻvār war Tempelgärtner in Srivilliputhur, eine Funktion, die traditionell nur Brahmanen ausüben können. Periyāḻvār war mit seinem Dienst im Garten vollkommen zufrieden und hatte daher nach den Unterweisungen seiner Jugend keine weiteren Unterweisungen gesucht, war also kein Gelehrter.

Als nun der lokale König einen Preis dafür auslobte, dass ein Gelehrter zweifelsfrei (gemäß den klassischen Regeln für Diskurs und Logik) beweisen kann, welche Form Gottes die höchste ist, beachtete er dies nicht weiter. Im Traum erschien ihm jedoch Viṣṇu und ersuchte ihn, an diesem Wettbewerb teilzunehmen und zu beweisen, dass Viṣṇu die höchste Form ist. Auf Periyāḻvārs Einwand, dass er nicht für einen solchen Diskurs qualifiziert sei, versprach Viṣṇu, dass er ihm helfen würde.

Als Periyāḻvār sich bei den Gelehrten zum Diskurs meldete, wurde er mit Belustigung empfangen, die anderen Gelehrten waren sicher, dass er gegen sie nicht den Hauch einer Chance hat. Doch zum allgemeinen Erstaunen gewann Periyāḻvār durch die perfekte Beherrschung des gesamten vedischen Schriftkanons. Auf jeden Einwand konnte er vielfältige Textstellen zitieren, die diesen Einwand entkräfteten.

Dass ein schlichter Tempelgärtner gegen die größten Gelehrten seines Landes gewann, wurde mit einem Umzug und großer Verehrung für Periyāḻvār gefeiert – bei dieser Gelegenheit erschien ihm Viṣṇu und der Āḻvār dichtete die vorliegenden Verse.

Später fand er bei seiner Gartenarbeit im Erdreich ein Baby – Āndāl, Avatar der Erdgöttin, ihrerseits einer der drei Aspekte der göttlichen Mutter. Das Bild zu diesem Artikel zeigt den Schrein an dem Ort, wo Āndāl gefunden wurde. Er nahm das Mädchen als seine Tochter an. Später heiratete Āndāl Śrī Raṅganatha, die Bildgestalt des Śrīraṅgam Tempels, und verschwand gleich daraufhin im heiligsten Bereich des Tempels. Daher ist Periyāḻvār der Schwiegervater von Śrī Raṅganatha.

Würdigungsvers II

Srivilliputhur, umgeben von leuchtenden, großen Mauern,
die, die diesen Namen sprechen, möge unsere Stirn zu ihren Füßen sein.
Einst (als der Ruhm von Viṣṇu als höchste Form Gottes zu beweisen war, s.o., gewann er und) fiel ihm der Sack Goldmünzen zu.
Oh Geist, denke daran und vermeide so die unangemessenen (nicht-vedischen) Wege.

Würdigungsvers III

Der König der Pandians (Vallabha) feierte ihn, den König der Vaiṣṇavas,
der König kam und lies die Muschelhörner blasen,
er (Periyāḻvār) erläuterte die letzte Bedeutung der Veden und gewann den Preis,
mögen seine Lotusfüße unser Schutz sein.


Vers 1

Viele Jahre der Menschen, der Devas und des Brahmā*.
Viele Brahmās lang.
Der mit starken Schultern, der die stärksten Ringer besiegt, blau wie ein Saphir,seine wunderbaren roten Füße, mögen sie beschützt sein.


*Demiurge des jeweiligen Universums, für Brahmā sind gemäß der Schriften 1000 Folgen der 4 Yugas wie ein Tag, seine Lebenspanne ist daher etwa 313.528.320.000.000 Menschenjahre. Mit der Schaffung eines Universums wird ein Brahmā geschaffen, wenn er stirbt wird dieses Universum zerstört und später mit einem neuen Brahmā erneut geschaffen

Nach seinem Segenswunsch lässt der Āḻvār uns wissen, dass er sehr wohl versteht, dass sich Gott selber schützen kann. „Der mit starken Schultern, der die stärksten Ringer besiegt“ spielt auf eine Kindheitsgeschichte von Kṛṣṇa an, in der er dutzende Ringer, die den Auftrag hatten, ihn in einem Schaukampf zu töten, seinerseits tötet. Als Kind!

Vers 2

Wir, Deine Diener und Du, unser Herr, mögen wir immer zusammen sein!
Wunderschön und mit Juwelen geschmückt, ruhen sie stets auf der rechten Seite Deiner Brust, Deine Gefährtinnen (die Gefährtin Viṣṇus, Lākṣmī, wird zuweilsen durch drei Göttinen repräsentiert: Śrī Devi, Bhudevi und Niladevi) – mögen sie sets mit Dir sein!
Leuchtend, so dass Deine Form erstrahlt, immer in Deiner rechten Hand, das Chakra (eine Art feuriger Diskus, die liebste Waffe Viṣṇus) – möge es immer bei Dir sein.
Jenes, dessen Klang auf dem Schlachtfeld erklingt, gleich einer Waffe (das Muschelhorn, neben dem Chakra die zweite Insignie Viṣṇus) – möge es immer bei Dir sein.

Nachdem der Āḻvār im ersten Vers die Lotusfüße des Herrn gesegnet hat, segnet er nun seine gesamte transzendentale Erscheinung mit all seiner Fülle.

Kṛṣṇa tötet Śiśupāla, nachdem Kṛṣṇa 100 Beleidigungen durch Śiśupāla ungesühnt gelassen hat – bei der 101. nutzt er das Chakra um Śiśupāla zu töten.

Vers 3

Wenn Du im Dienst am Herren gefestigt bist, komm mit uns und nimm die heilige Erde für das Fest (Śrī Vaiṣṇavas markieren ihre Stirn mit „Urdhva Pundram“, dem Symbol für Viṣṇu und Lakṣmī aus heiliger weißer Erde und rotem Kurkuma).
Doch dienst Du anderen Herren für Dein Essen, so lassen wir Dich nicht zu uns.
Ohne Vergehen sind wir seit 21 Generationen,
Lanka (Sri Lanka) war gefüllt mit Dämonen, sie wurden alle zerstört,
ihm, der gegen sie in die Schlacht zog, singen wir nun Thiruppallāṇdu (segnen ihn).

Der zweite Satz („Doch dienst Du anderen Herren…“) klingt zunächst einmal hart. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der Āḻvār hier Vaiṣṇavas zu einem Utsavam, zu einem religiösen Fest, zusammen ruft. Wäre in der Gruppe derer, die Gott durch Gesänge und Gebete verehren jemand, dem es dabei nicht um Gott, sondern um seinen eigenen Wohlstand geht, würde die Verehrung an Kraft und Würde verlieren.

Vers 4

Bevor ihr auf dem Friedhof* landet, kommt zu uns.
Wenn Du erwägst, Kaivalya aufzugeben, schnell, komm zu uns!**
Ihr, Menschen in Land und Stadt die ihr wisst, was gut für euch ist und das Thirumantra chantet,
wenn eure Hingabe für das Thirumantra reicht, kommt und singt mit uns Thiruppallāṇdu!

* Eigentlich bedeutet das Wort natürlich „Verbrennungsort für Leichen“, Friedhöfe, in denen Leichen beerdigt werden, kannte man zu Zeites des Āḻvārs nicht – die Toten wurden verbrannt.
** aus Sicht des Āḻvārs ist höchste Eile geboten, aus Kaivalya, dem alleinigen Genuss der glückseligen Aspekte des Āthmās, gibt es keine Wiederkehr.

Vers 5

Der Herr der Sinne, Herr über die unzähligen Welten,
er sammelte und zerstörte Dämonen und Asuras.
Ihr aus der Grupper der, die ihm dienen wollen,
kommt zu uns, zu den Lotusfüßen des Herrn,
und singt seine tausend Namen!
Doch gehörtst Du zu denen, die den Herren für Anderes als den Dienst an ihm ersuchen,
gib es auf und singt mit uns Thiruppallāṇdu!

In diesem Vers spricht der Āḻvār die an, die Gott wegen seiner Macht verehren, also sich Hilfe / Vorteile von ihm versprechen. Das ist nicht illegitim, wie wir in Kapitel 7 Vers 16 der Gīta (Englisch, Deutsch in wörtlicher Übersetzung) lesen. Aber es ist eben auch nicht das Ende, es gilt dieses Motiv zu transzendieren und (wie der Āḻvār) Gott um seiner Selbst willen zu verehren.

Vers 6

Mein Vater und ich, sein Vater und sein Vater und sein Vater und dessen Vorfahren, sieben Generationen zurück,
wir kommen zur gegebenen Zeit und Dienen,
wir werden ihn immer segnen,
bei Sonnenuntergang erschien er als Mensch-Löwe (Nārāsimha) und tötete Hiranyakashipu,
davon ist er müde – wir singen ihm Thiruppallāṇdu.

Vers 7

Größer als das Feuer der Sonne, rund und rötlich scheinend,
so leuchtet das Sudarshana Chakras;
Generation für Generation kamen wir, um dem zu dienen,
der es führt (Viṣṇu).
Es drehte sich und trennte die tausenden (Köpfe von den) Schultern von Banasura, dessen Armee mit Hinterlist kämpfte.
Ihm singen wir Thiruppallāṇdu!

Vers 8

Reis mit Ghee, mit reinem Herzen geopfert und von wunderbarem Geschmack,
im immerwährenden Dienst reicht seine Hand uns Betelblätter und -nüsse, Schmuck für den Hals und duftende, unvergleichliche Sandelholzpaste für den Körper,
so erhob er mich tief Gefallenen auf die Ebene des Sattva (Reinheit).
Er, auf dessen Flagge Garuda, Feind der Schlage ist,
ihm singen wir Thiruppallāṇdu.

Im 5. Vers sprach der Āḻvār zu Menschen, die sich vor allem für Wohlstand und den Schutz durch Gott interessieren. In diesem Vers sprecht ein solcher Mensch über das, was er erfahren hat, als er das Streben nach Schutz und Wohlstand aufgab und begann, Gott zu segnen.

Vers 9

Wir tragen die heiligen gelben Stoffe, die um Deinen Körper lagen,
wir essen das Essen, das Du gekostet hast,
wir tragen die Tulsi Girlanden die Du getragen hast,
all die Dinge, die all den verschiedenen Bereichen getan werden müssen, sind getan,
Dir, ruhend auf dem Bett das Adiṣesa (die Weltenschlange) ist, mit geblähten Hauben, an Sravanam (ein Tag Ende März, an dem Vaiṣṇavas traditionell fasten und der für die Verehrung von Viṣṇu besonders geeignet ist),
ihm singen wir Thiruppallāṇdu.

Vers 10

Oh Herr, egal wann wir unterschrieben Deine Diener zu sein,
an diesem Tag wurde unser Haushalt zum Hort Deiner Diener.
Wir wurden befreit von Kaivalya und von Dir erhoben.
Du, aus der schönen und göttlichen Stadt Mathura,
zerbrachst den Bogen (von Kamsa, dem König, der Kṛṣṇa – um den geht es hier – töten wollte),
sprangst auf den Kopf der Schlange Kaliya, sie mit ihren fünf Köpfen und Hauben,
Dir singen wir Thiruppallāṇdu.

Vers 11

Oh Herr, die, die ohne schlechte Gewohnheiten (Bewusstsein, den Ausdruck für die Existenz des Āthmā, für ein rein körperliches Phänomen halten, das Āthmā für unabhängig von Allem halten usw) sind, sie sind der Schmuck der Welt,
Den Bewohnern von Thirukostiyur (einer Divya Deśams, also der 108 Tempel, die von den Āḻvārs gepriesen wurden, in Thirukoshtiyur soll ein Treffen der großen Seher und Götter statt gefunden haben – Thiru = heilig, kosti = goshti, Treffen einer Gruppe) bist Du der Herr.
Die, deren Größe nur darin besteht, sich als als Deine Diener zu betrachten so wie Selva Nambi (der Überlieferung nach der Verwalter des Tempels von Thirukkottiyur, er wies des König an, die Debatte auszurufen, die Periyāḻvār gewann), ich bin einer von ihnen, ewiger Diener von Dir, unserem Herren.
Du, der Du alle Vergehen so wunderbar entfernen kannst,
wir rezitieren das Thirumantra,
wir singen Deine Namen ohne auf Formales zu achten,
Dir singen wir Thiruppallāṇdu.

Vers 12

Er, der einen Bogen names Sārngam trägt,
er der absolut rein ist und in Vaikuntha residiert,
ihm sang Viṣṇuchitta (Periyāḻvār) aus Srivilliputhur seinen Segen.
Mit großem Verlangen danach gab er diesen heiligen Gesang,
die, die ihn stets wiederholen und über das Thirumantra meditieren,
sie werden Paramāthmā (die Überseele, Śrīman Nārāyaṇa) umgeben und Thiruppallāṇdu.


Adiyen Mādhava Rāmānuja Dāsan
Übersetzung auf Deutsch
Adiyen Sarathy Rāmānuja Dāsan
Adiyen Sudarshana Rāmānuja Dāsan
Übersetzung ins Englische

Tempel in Srivilliputhur, Quelle: Wikipedia